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Rote Schmieralgen

und Stickstoffhaushalt im Riffaquarium


Gastbeitrag von Dipl.-Biol. Ernst Pawlowsky
Sie haben keine Probleme mit Fadenalgen? Die niederen Tiere fühlen sich wohl? Fütterung erfolgt nur mäßig? Nitrat praktisch nicht meßbar? Trotzdem haben Sie lästige rote Schmieralgen im Aquarium? Dann ist der Stickstoffhaushalt in Ihrem Aquarium gestört. Sie haben zu wenig Sickstoff (Nitrat) im Aquarium! Diese provokante Hypothese möchte ich in dem nachfolgenden Beitrag mit meinen Erfahrungen und Überlegungen untermauern.
Fortführende Untersuchungen zeigten, daß es wohl nicht primär am sauberen Wasser liegt, wenn Schmieralgen auftreten, sondern an einem Ungleichgewicht zwischen dem Stickstoffangebot einerseits und dem Angebot an allen anderen Pflanzennährstoffen andererseits.
Bei den Cyanophyceen, wie die Schmieralgen auch genannt werden, gibt es Formen, die extrem saubere bzw. nährstoffarme Standorte besiedeln und - ganz wichtig - daß sie auch elementaren Stickstoff fixieren können. Die Cyanophyceen haben, ähnlich den höheren Algen und Pflanzen, Photosynthesepigmente, ihnen fehlt jedoch der Zellkern. Diese Eigenschaft haben sie mit den Bakterien gemeinsam, weshalb sie häufig auch als Cyanobakterien bezeichnet werden.

Bei der Stickstoffixierung geschieht folgendes: in einem stickstoffarmen Milieu wird elementarer Stickstoff fixiert, um ihn für die Synthese von lebensnotwendigen Eiweißen der Bakterien bzw. Pflanzen zur Verfügung zu stellen. Ohne Stickstoff ist die Synthese von Eiweißen nicht möglich. Pflanzen, und damit auch Algen, nehmen Stickstoff üblicherweise nur als Ammonium (NH4+) oder Nitrat (NO3-) auf. Ist diese Quelle erschöpft, können nur noch solche Organismen weiterwachsen, die den reichlich in der Luft (fast 80%) oder dem Wasser vorhandenen elementaren Stickstoff (N2) fixieren können. Und genau zu diesem Prozeß sind einige Schmieralgen-Arten fähig.

In Gesprächen mit Herrn Rolf Hebbinghaus, der unter anderem das hervorragend laufende Korallenriffbecken im AquaZoo, Düsseldorf, betreut, erfuhr ich, daß dort wachsende Schmieralgen-Arten von Wissenschaftlern eindeutig als Reinwasserformen identifiziert worden waren. Diese Schmieralgen wuchsen, als der Nitratgehalt sehr niedrig bzw. nicht nachweisbar gewesen war.

Sowohl Moe (1989), Aday & Loveland (1991) als auch Fossa und Nielsen (1992) berichten, daß Stickstoff-fixierende Cyanophyceen (Blau- und Schmieralgen) in den Algengemeinschaften von Korallenriffen vorkommen. Damit ist elementarer Stickstoff eine Quelle für organische Stickstoffverbindungen.

Es liegen in der Literatur noch mehrere Hinweise vor, daß es sich bei den Schmieralgen im Aquarium um stickstoffixierende Reinwasserformen handeln könnte.

Nachdem mit erhöhter Futterzugabe die Schmieralgen zwar zurückgedrängt, aber nicht vollständig beseitigt werden konnten, tauchte ein neues Problem auf: an meinen Steinkorallenkolonien, insbesondere bei Acropora pulchra, trat das Phänomen auf, daß einige Bereiche ausbleichten und das Gewebe dort zum Teil abstarb. Aufgrund des äußeren Anscheines meines Aquariums vermutete ich eine Unterversorgung mit Nährstoffen. So wuchs nahezu keine Grünalge, das Gestein wirkte fast wie geleckt. Aus diesem Grund fing ich an, Nitrat gezielt in das Becken zu geben. Ich machte mir eine Stammlösung, die ca. 60 mg Nitrat/ml enthielt und startete mit einer Dosierung von 5 ml/Tag.

Der Erfolg blieb nicht aus. Die ausgebleichten Stellen der Acropora wurden wieder braun, gleichzeitig verschwanden die Schmieralgen nahezu vollständig. Eine Rücksprache mit der Fa. Merck klärte auch, daß die üblicherweise in der Aquaristik verwendeten Nitrattests im Meerwasser zu viel Nitrat anzeigen würden - und zwar bis zu 60 mg/l über dem tatsächlichen Wert! Nach einigen Wochen war der Nitratwert jedoch erneut gesunken.

Wohin verschwindet das Nitrat, das aus Fütterung und der Nitratzugabe stammt?

Zwei Prozesse zehren am Stickstoff- bzw. am Nitratgehalt des Aquarienwassers: der Aufbau von Biomasse und die Denitrifikation. Der Aufbau von Biomasse ist jedes Wachstum von Algen, Wirbellosen und auch der Fische. Im Vordergrund steht bei Riffaquarien aber sicherlich das Wachstum der Algen und Wirbellosen. Dort, wo Leder-, Weich- und Steinkorallen an Größe gewinnen, wo sich Krusten- und Scheibenanemonen vermehren, ist das nur möglich, wenn sie für die Bildung körpereigener Eiweiße Stickstoff aufnehmen können. Eiweiße sind unverzichtbare Funktionsbausteine aller Organismen, d.h. wo ein guter Zuwachs an Biomasse zu beobachten ist, wird auch eine entsprechende Menge Stickstoff gebraucht.

Denitrifikation findet im Meerwasser-Aquarium nicht nur unter Verwendung eines Denitrifikationsfilters statt. Überall dort, wo sich im Aquarium sauerstoffarme bzw. sauerstoffreie Zonen ausbilden, sind die Voraussetzungen für die Denitrifikation gegeben. Eine spezielle Fütterung der hier siedelnden Denitrifikationsbakterien ist nicht erforderlich. Im Meerwasser eines gut beleuchteten Riffaquariums sind durch die Algen zahlreiche höhermolekulare Kohlenwasserstoffe vorhanden, die den Denitrifikationsbakterien als Nahrungsquelle dienen können. Diese höhermolekularen Kohlenwasserstoffe lassen sich, zumindest teilweise, auch abschäumen.

Daß die Denitrifikation den Nitratgehalt deutlich reduzieren kann, ist bekannt. In Becken mit entsprechendem Angebot an porösem Filtermaterial kann der Nitratgehalt daher sinken, ein Wachstum von Schmieralgen einsetzen.

Die Intensivierung der Abschäumung in Versuchen verringert den Stickstoffgehalt des Aquarienwassers wohl dadurch, daß stickstoffhaltige organische Substanzen, wie Eiweiße, dem Aquarienwasser entzogen werden, ohne daß der Stickstoff erst zu Nitrat oxidiert werden kann. Dieser Versuch gibt allerdings keinen Aufschluß darüber, ob speziell Stickstoffmangel oder zu große "Sauberkeit" die Auslöser für die Schmieralgen waren. Alle anderen Indizien und Literaturstellen legen jedoch nahe, Stickstoffmangel bei gleichzeitigem Vorhandensein aller anderen Pflanzennährstoffen als Ursache für das Auftreten der (roten) Schmieralgen anzunehmen.

Wie kann die Bekämpfung bzw. Vermeidung des Wachstums von roten Schmieralgen aussehen?

Bevor ich hierzu einige Anmerkungen mache, möchte ich zwei wichtige Punkte vorwegschicken: - ich schreibe hier ausschließlich über Schmieralgen in nährstoffarmen Riffbecken. In nährstoffreichen und ggf. auch organisch belasteten Fischbecken sind bei einem Auftreten von Schmieralgen die Ursachen anderweitig zu suchen. - stickstoffixierende Schmieralgen können nur wachsen, wenn kein Mangel an den anderen benötigten Pflanzennährstoffen vorliegt. Das heißt, Phosphate, Kalium und Spurenelemente müssen vorhanden sein, nur das Nitrat darf fehlen.

Für die Bekämpfung der Schmieralgen scheint mir die Beobachtung wichtig zu sein, daß Schmieralgen sofort zurückgehen, wenn es gelingt, andere Algen zum Wachsen zu bringen. Da die anderen Algen aber elementaren Stickstoff nicht fixieren können, sind sie auf ein Minimum an Nitrat angewiesen. Diese Algen können von verschiedenen Herbivoren wie Fischen, Krebsen, Seeigeln und Schnecken kurz gehalten werden. An Schmieralgen gehen diese Tiere meist nicht heran. Ein Nitratgehalt knapp über der Nachweisgrenze, d.h. 5-10 mg/l, scheint vollkommen auszureichen.

Eine Bekämpfung der stickstoffixierenden Schmieralgen kann auf mehreren Wegen erfolgen:

- der Phosphatgehalt des Wassers kann soweit gesenkt werden, daß nicht der Stickstoff, sondern das Phosphat zum limitierenden Faktor wird. Ohne Phosphat können auch Schmieralgen nicht mehr wachsen! Allerdings besteht bei dieser Vorgehensweise die Gefahr, daß - treibt man es zu weit - überhaupt nichts mehr wächst. Jeglicher Aufbau von Biomasse ist, neben Stickstoff, auch an Phosphat gebunden. Ziel muß es also sein, einen Gleichgewicht-ähnlichen Zustand mit einem sehr geringen Phosphatgehalt und leichtem Überschuß an Nitrat zu erreichen.

- Neben der Phosphatreduzierung wird man in den meisten Fällen aber auch den Stickstoffkreislauf des betroffenen Aquariums untersuchen und gegebenenfalls verändern müssen. Es muß geklärt werden, ob der Stickstoffmangel durch zu geringe Stickstoffzufuhr (im allgemeinen durch Futter) oder starken Verbrauch, z.B. durch starke Denitrifikation hervorgerufen wird. Eine Erhöhung der Futtermenge ist in vielen Fällen problemlos möglich. Viele Riffaquarianer halten ihre Fische "sehr kurz".

Der Einsatz von Aktivkohle zur Entfernung von Gelbstoffen etc. sollte bei Schmieralgenproblemen nur kurzfristig erfolgen. Meist reichen 24 - 48 Stunden aus, um diese Stoffe zu adsorbieren. Wenn der Aktivkohleeinsatz dann regelmäßig wiederholt wird, bleiben die Gelbstoffe etc. auf einem geringen Niveau, aber Denitrifikation kann sich im Aktivkohlefilter nicht einstellen. Wird ein Denitrifikationsfilter betrieben und treten gleichzeitig Schmieralgenprobleme auf, so ist zu überprüfen, ob die Denitrifikation wirklich erforderlich ist.

Auch in hohem Bodengrund kann die Ursache für hohe Nitrifikation zu finden sein. Gegebenenfalls sollte bei einem entsprechenden Verdacht der Bodengrund des öfteren aufgelockert oder teilweise abgesaugt, gereinigt und wieder eingefüllt werden. So werden die sauerstoffarmen Bereiche, die eine Voraussetzung für die Denitrifikation sind, reduziert. (Anmerkung KORALLIN: lesen Sie hierzu auch den Gastbeitrag von J. Kastl "Schmieralgen")

Mit einem Teilwasserwechsel kann Nitrat sowohl in das Aquarium eingebracht, als auch ausgetragen werden (je nach "Qualität" des verwendeten Wechselwassers). Auch eine gezielte Zugabe von anorganischem Nitrat ist möglich, um den Nitratgehalt zu erhöhen. Damit wird das Aquarium nicht mit anderen biologisch abbaubaren Substanzen belastet.

Ganz egal, welche Maßnahmen Sie zur Bekämpfung der roten Schmieralgen wählen, gehen Sie bitte behutsam vor! Stickstoffoxidierende Schmieralgen sind keine Indikatoren für schlechte Wasserverhältnisse. Sie sind meiner Meinung nach in erster Linie ein optisches Problem. Ich kenne mehrere gut laufende Steinkorallenaquarien, in denen immer ein geringer Bestand an Schmieralgen vorhanden ist. In solchen nährstoffarmen Grenzbereichen gehört ein gewisser Schmieralgenbestand anscheinend dazu. Er ist auch in den natürlichen Korallenriffen vorhanden.

Für die Wirbellosen werden Sie erst indirekt zum Problem, nämlich dann, wenn sie unter Stickstoffmangel leiden und allmählich zurückgehen. Dann besteht die Möglichkeit, daß die Wirbellosen zum Teil auch von Schmieralgen überwachsen werden. Ursachen für die Milieuverschlechterung sind hier aber nicht die Schmieralgen, diese profitieren nur von dem entstandenen Milieu. Entsprechend entfernt eine Antibiotika-Behandlung die Schmieralgen meist auch nur kurzfristig, da die Ursache nicht beseitigt wird.

Wenn Sie Probleme mit Schmieralgen haben, so analysieren Sie die Verhältnisse in Ihrem Aquarium und führen Sie Veränderungen langsam und in kleinen Schritten durch. Beobachten Sie dabei den Beckenbesatz und führen Sie ggf. Buch über Maßnahmen und Auswirkungen. Haben Sie Geduld, nur so finden Sie das richtige Gleichgewicht in der Stickstoffbilanz für Ihr Aquarium.


© KORALLIN